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Unterschiedliches Geschlecht, unterschiedliches Gehalt: Keine Frage des Verhandlungsgeschicks!

DILL-NEWSLETTER 02/2023: Bundesarbeitsgericht zum Thema Entgelt(un)gleichheit

Unterschiedliches Geschlecht, unterschiedliches Gehalt: Keine Frage des Verhandlungsgeschicks!

Unterschiedliches Geschlecht, unterschiedliches GehaltIn einem aufsehenerregenden Urteil betonte das Bundesarbeitsgericht einen (eigentlich) einleuchtenden Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Frauen dürfen demnach nicht allein deshalb schlechter gestellt werden, weil Männer (angeblich) „besser“ ihr Gehalt verhandeln.

„Es gibt sicher einige objektive Gründe, die ein unterschiedliches Gehalt für die gleiche Tätigkeit im Betrieb rechtfertigen können“, sagt Steuerberater Wolfgang Dill aus Limburg. Dazu zählen insbesondere Qualifikation und Berufserfahrung. Das Bundesarbeitsgericht stellte nun jedoch klar, dass auf keinen Fall das Geschlecht einen Lohnunterschied begründen darf (BAG, Urteil vom 16. Februar 2023, Az. 8 AZR 450/21).

Deckelungsregelung im neuen Haustarifvertrag

In der Verhandlung ging es um eine Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb. Sie hatte ihre Beschäftigung in dem Unternehmen zum 1. März 2017 aufgenommen. Dabei hatte sie mit dem Arbeitgeber einzelvertraglich ein Grundentgelt in Höhe von 3.500 Euro brutto ausgehandelt. Ab dem 1. August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag. Dieser regelte u.a. die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems. Demnach hätte die für die Tätigkeit der Arbeitnehmerin maßgebliche Entgeltgruppe eigentlich ein Grundentgelt in Höhe von 4.140 Euro brutto vorgesehen. Zugleich enthielt der Haustarifvertrag aber eine Deckelungsregelung: „Für den Fall, dass das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige tarifliche Entgelt (…) überschreitet, erfolgt die Anpassung um nicht mehr als 120,00 €/brutto in den Jahren 2018 bis 2020.“ Auf dieser Basis zahlte das Unternehmen der Außendienstmitarbeiterin ab dem 1. August 2018 ein Grundentgelt in Höhe von 3.620 Euro brutto.

Nur zwei Monate vor der Frau hatte ein Mann eine gleichartige Beschäftigung im Vertrieb aufgenommen. Auch ihm hatte die Firma ein Gehalt in Höhe von 3.500 Euro brutto angeboten. Das lehnte der Mann ab, er forderte 4.500 Euro. Der Arbeitgeber gab dieser Forderung nach. Wegen des Haustarifvertrags kam es auch hier zu Anpassungen, aber der Mann verdiente inklusive erfolgsabhängiger Entgeltbestandteile weiter deutlich mehr als seine Kollegin.

Vorinstanzen hatten Klage der Arbeitnehmerin noch abgelehnt

Als diese später von der ungleichen Bezahlung erfuhr, klagte sie. Sie verlangte für die Zeit bis Juli 2019 die rückständige Vergütung bzw. die Differenz zum Gehalt ihres männlichen Kollegen nach. Dabei vertrat die Arbeitnehmerin die Auffassung, der beklagte Betrieb müsse ihr ein ebenso hohes Grundentgelt zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Dies folge daraus, dass sie die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichte. Da die Firma sie beim Entgelt aufgrund des Geschlechts benachteiligt habe, schulde sie ihr zudem die Zahlung einer angemessenen Entschädigung. Die Vorinstanzen wiesen ihre Klage noch ab. So meinte etwa das Landesarbeitsgericht Sachsen, das Unternehmen habe Interesse an der Mitarbeitergewinnung. Dies rechtfertige auch unterschiedliche Gehälter.

Die Revision der Außendienstmitarbeiterin hatte nun aber ganz überwiegend Erfolg. Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts sah sie im strittigen Zeitraum vom Arbeitgeber aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Dies folgte in Augen der Richter allein daraus, dass ihr der Arbeitgeber – obgleich die Klägerin und der männliche Kollege die gleiche Arbeit verrichteten – ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt hatte als dem männlichen Kollegen.

Benachteiligung aufgrund des Geschlechts

Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch nach Art. 157 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union), § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG (Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern) auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege (zum Wortlaut der einschlägigen Paragrafen siehe unten). Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhielt als ihr männlicher Kollege, begründet die Vermutung nach § 22 des Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Dem beklagten Arbeitgeber gelang es in der Verhandlung nicht, diese Vermutung zu widerlegen.

Das Verhandlungsgeschick zählt nicht

„Insbesondere konnte sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen, dass das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen nicht auf dem Geschlecht beruhe, sondern dem Umstand geschuldet sei, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe“, erläutert der Limburger Steuerexperte Dill. Auch ein weiteres Argument des Betriebs für ein zeitweises ungleiches Gehalt – nämlich dass der Mann einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt sei – ließ das Gericht nicht gelten.
Zugleich hielt das Bundesarbeitsgericht die Deckelungsregelung im Haustarifvertrag des Unernehmens für unzulässig. Sie finde entgegen der Auffassung des beklagten Betriebs auf die Klägerin keine Anwendung, weil diese zuvor kein tarifliches, sondern ein einzelvertraglich vereinbartes Entgelt erhalten hatte. Am Ende entsprach das Gericht der Forderung der Klägerin nach einer Nachzahlung der rückständigen Lohndifferenz – sowie zusätzlich einer Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts in Höhe von 2.000 Euro.

„Es handelt sich um ein wegweisendes Urteil, das zu Recht für viel Aufsehen sorgt“, lautet das Fazit von Steuerberater Wolfgang Dill. Noch steht die schriftliche Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts aus. Daraus dürften sich die Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen deutlich besser ablesen lassen. Obwohl auch dann noch ein „Aber“ stehen bleiben dürfte: Laut Entgelttransparenzgesetz haben ArbeitnehmerInnen erst bei Unternehmen ab 200 Beschäftigten Auskunftsansprüche über die Gehaltszahlungen.

Die einschlägigen Paragrafen im Wortlaut:

  • Art. 157 Abs. 1 AEUV:

    Jeder Mitgliedsstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.

  • § 3 EntgTranspG (Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts):

    (1) Bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ist eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten.

  • § 7 EntgTranspG (Entgeltgleichheitsgebot):

    Bei Beschäftigungsverhältnissen darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts.

  • § 22 AGG (Beweislast)

    Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

  • § 15 AGG (Entschädigung und Schadensersatz)

    (1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
    (2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Was können Sie tun?

Setzen Sie als Arbeitgeber beim Gehalt nur auf valide Kriterien!

Verhandlungsgeschick allein darf keine geschlechterbezogene Ungleichbehandlung beim Gehalt rechtfertigen. Hier setzt das Bundesarbeitsgericht der Vertragsautonomie klare Grenzen. Unterschiedliche Entgelthöhen bleiben natürlich auch zwischen Beschäftigten mit unterschiedlichen Geschlecht im selben Betrieb möglich. Als Arbeitgeber dürfen Sie sich aber nur auf klar nachvollziehbare Kriterien bei der Gehaltsfindung berufen. Dazu zählen vorrangig Qualifikation und Berufserfahrung. Je nach Betriebsgröße lohnt sich hier die Schaffung klarer tariflicher Regelungen. Wir beraten Sie gerne dazu: kontakt/at/steuerberater-dill.de

Fotos: tomertu / alle AdobeStock