Urteile zu den Kosten für ein Hausnotrufsystem und für eine Pflege-Wohngemeinschaft
DILL-NEWSLETTER 4/2021: Urteile zu den Kosten für ein Hausnotrufsystem und für eine Pflege-Wohngemeinschaft
Steuererleichterungen in schwierigen Lebenslagen
Die Kosten für ein Hausnotrufsystem in den eigenen vier Wänden lassen sich als haushaltsnahe Dienstleistung steuermindernd geltend machen. Das entschied das Finanzgericht Sachsen. Bislang galt die Steuerermäßigung nur für Systeme im Rahmen eines „betreuten Wohnens“. Und auch die Kosten für die Unterbringung im Rahmen einer Pflege-WG können steuerlich geltend gemacht werden, in diesem Fall als außergewöhnliche Belastung.
„Die Richter erkannten in ihrem Urteil eine Lebensrealität an – immer mehr ältere Menschen leben alleine in ihrer Wohnung und versorgen sich hier selbst. Dazu gehört es auch, sich möglichst gut vor gefährlichen Situationen und einer eventuell damit einhergehenden Hilflosigkeit zu schützen“, sagt Steuerberater Wolfgang Dill aus Limburg. Hierbei kann ein Hausnotrufsystem unterstützen: Im Fall des Falles kann damit schnell externe Hilfe gerufen werden. Darüber hinaus bietet es alleinstehenden Bewohnern ein gewisses Sicherheitsgefühl.
Bislang war allerdings strittig, ob sich die Kosten für den Unterhalt eines solchen Systems als haushaltsnahe Dienstleistung (im Sinne des § 35a Abs. 2 EStG) steuermindernd geltend machen lassen. „In der Vergangenheit hatte der Bundesfinanzhof das lediglich für Hausnotrufsysteme im Rahmen eines ,betreuten Wohnens‘ bejaht“, erklärt Steuerexperte Dill.
Nun entschied das Finanzgericht Sachsen im Sinne einer Seniorin, die alleine zuhause lebt. Sie nahm die Leistungen eines Anbieters für ein Hausnotrufsystem in Anspruch. Die Kosten hierfür wollte sie – eben auch mit Blick auf das genannte BFH-Urteil – als haushaltsnahe Dienstleistung geltend machen.
Aus § 35a (2) EStG: „Für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen (…) ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20%, höchstens 4.000 Euro, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen.“
Dem Finanzamt fehlte die räumliche Nähe zum Haushalt
Das Finanzamt aber stellte sich quer. Es sei zwar anerkannt, dass innerhalb eines betreuten Wohnens ein Hausnotrufsystem eine unselbstständige Nebenleistung der dort erbrachten Pflege- und Betreuungsleistungen darstelle. Dies sei jedoch vorliegend nicht der Fall, weil die Seniorin nicht in einer Einrichtung mit betreutem Wohnen wohne. Insbesondere fehle es an der räumlichen Nähe des Dienstleistungserbringers zu ihrem Haushalt. Daraufhin klagte die Frau auf ihre Steuerermäßigung.
Mit Erfolg. Die Finanzrichter beriefen sich in ihrem Urteil auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des BFH. Sie hielten den Fall mit dem betreuten Wohnen für durchaus übertragbar auf den vorliegenden Sachverhalt.
Demnach ist unter dem Begriff des Haushalts die Wirtschaftsführung mehrerer (in einer Familie) zusammenlebender Personen oder aber auch einer einzelnen Person zu verstehen. Das Wirtschaften im Haushalt umfasst Tätigkeiten, die für die Haushaltung oder die Haushaltsmitglieder erbracht werden. Dazu gehören Einkaufen von Verbrauchsgütern, Zubereitung von Mahlzeiten, Wäschepflege, Reinigung und Pflege der Räume, des Gartens – und eben auch Pflege, Versorgung und Betreuung von Kindern, alten und kranken Haushaltsangehörigen.
Räumlich-funktionale Auslegung des Begriffs „Haushalt“
„Haushaltsnahe“ Leistungen sind dieser Auffassung zufolge solche, die eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung haben bzw. damit im Zusammenhang stehen. Dazu gehören Tätigkeiten, die gewöhnlich Mitglieder des privaten Haushalts (oder entsprechend Beschäftigte) erledigen und die in regelmäßigen Abständen anfallen. „In“ einem Haushalt wird die haushaltsnahe Dienstleistung erbracht, wenn sie im räumlichen Bereich des vorhandenen Haushalts geleistet wird. „Der Begriff des Haushalts ist insoweit räumlich-funktional auszulegen“, erläutert Steuerberater Dill.
In diesem Sinn nahm die Klägerin eine haushaltsnahe Dienstleistung in Anspruch. Die Leistung wird im räumlichen Bereich des Haushalts erbracht und der Leistungserfolg – also die herbeigerufene Hilfe – tritt in der Wohnung der Steuerpflichtigen ein. Die Rufbereitschaft stellt sicher, dass ein Bewohner im Bedarfsfall Hilfe rufen kann. Eine solche Rufbereitschaft und Hilfestellung leisten typischerweise in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebende Familien- oder sonstige Haushaltsangehörige. „In Anbetracht des vorliegenden Falles hielten es die Richter für unerheblich, dass sich die Notrufzentrale nicht im räumlichen Bereich des Haushalts befindet“, begrüßt Wolfgang Dill die Entscheidung ausdrücklich. Das letzte Wort wird allerdings der Bundesfinanzhof haben, wo noch die Revision anhängig ist (BFH, Az VI B 94/20).
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Unterbringung in einer Pflege-Wohngemeinschaft
Auch in einem anderen Fall rund um eine schwierige Lebenslage entschied ein Finanzgericht im Sinne des Steuerpflichtigen. Hierbei ging es um eine immer beliebter werdende Alternative zur Unterbringung im Pflegeheim, nämlich die Pflege-Wohngemeinschaft. Dort können mehrere, zum Teil eben auch pflegebedürftige Menschen zusammenleben. Jeder Bewohner hat sein eigenes Zimmer, das er sich nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen einrichten kann. Daneben gibt es gemeinschaftlich genutzte Räume wie beispielsweise eine Küche und ein Wohnzimmer, die von allen Bewohnern genutzt werden. Das hat mehrere Vorteile: Pflegebedürftige und ältere Menschen leben nicht allein; sie können sich gegenseitig unterstützen und den Alltag besser bewältigen, indem sie Betreuungs- und Unterstützungsangebote gemeinsam nutzen.
Kosten können als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden
„Gegenüber der Unterbringung in einem Pflegeheim kann das auch Kosten sparen, ist aber natürlich immer noch nicht gerade billig“, weiß Steuerexperte Dill. Diesbezüglich gibt es nun eine gute Nachricht: „Laut einem aktuellen Urteil des Finanzgerichts Köln können die hierfür anfallenden Miet- und Verpflegungskosten als außergewöhnliche Belastung steuermindernd geltend gemacht werden“, freut sich der Limburger Steuerexperte (im Sinne des § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes).
Es ging in dem Fall um einen in Folge eines Motorradunfalls und eines erst danach zu spät entdeckten Hirntumors mehrfach schwerbehinderten Mann, der in einer kleinen Wohngemeinschaft lebt. Hier wird er rund um die Uhr von einem ambulanten Pflegedienst und Ergänzungskräften betreut, gepflegt und hauswirtschaftlich versorgt. Die Kosten wollte er als außergewöhnliche Belastung geltend machen. Das Finanzamt lehnte dies zunächst ab. Daraufhin klagten der Mann und seine Ehefrau – mit Erfolg. Allerdings muss nun auch hier noch der Bundesfinanzhof über die Revision des Falles entscheiden (BFH, Az. VI R 40/20).
Aus § 33 (1) EStG: „Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.“
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Was können Sie tun?
Legen Sie im Fall des Falles Einspruch gegen eine anderslautende Entscheidung des Finanzamts ein!
Auch wenn das letzte Wort noch nicht gesprochen ist: Die Tendenz in der Rechtsprechung geht klar zugunsten betroffener Senioren oder Pflegebedürftiger. Wer bezüglich der Kosten für ein Hausnotrufsystem oder für bestimmte Pflegeleistungen einen ablehnenden Steuerbescheid des Finanzamts bekommt, sollte daher Einspruch einlegen. Zugleich können Steuerpflichtige das Ruhen des Verfahrens beantragen, damit der eigene Steuerfall bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs offen bleibt. Beides – Einspruch und Antrag auf das Ruhen des Verfahrens – muss im individuellen Fall natürlich gut vorbereitet sein. Wir helfen dabei gerne: kontakt/at/steuerberater-dill.de
Foto: Ingo Bartussek /AdobeStock