Verfassungswidriger Zinssatz auf Steuerforderungen: Welcher Jahreswechsel entscheidend ist
DILL-NEWSLETTER 11/2021: Verfassungswidriger Zinssatz auf Steuerforderungen
Welcher Jahreswechsel entscheidend ist
Der Zinssatz auf Steuernachzahlungen und -erstattungen in Höhe von 6% pro Jahr ist verfassungswidrig. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erregte viel Aufsehen und sorgte auch in den Finanzämtern für Unruhe. Das Bundesfinanzministerium hat sich daraufhin in einem Schreiben zur vorläufigen Verwaltungspraxis geäußert.
„6% Zinsen auf Steuernachforderungen und -erstattungen – das war bislang natürlich ein äußerst lukratives Geschäft, zumindest für den Empfänger der Zahlung“, sagt Steuerberater Wolfgang Dill aus Limburg. Allerdings ist dieser Zinssatz eben verfassungswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht klargestellt hatte (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2021, Az. 1 BvR 2237/14 und Az. 1 BvR 2422/17, wir berichteten).
Eine gesetzliche Neuregelung braucht aber natürlich ihre Zeit. „Das Interesse an belastbaren Informationen zur Verfahrensweise bei Zinsfestsetzungen war bei Finanzämtern wie Steuerzahlern jedoch schon jetzt groß“, weiß Steuerexperte Dill aus seiner Beratungspraxis. Entsprechend begrüßt er ein diesbezügliches Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) mit einigen Verwaltungsanweisungen (BMF, Schreiben vom 17. September 2021, Gz. IV A 3 – S 0338/19/10004 :005).
Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder ordnete das BMF Folgendes an:
- für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019: Sämtliche erstmalige Festsetzungen von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen (nach § 233a AO) ab dem 1. Januar 2019 sind auszusetzen bzw. werden vorerst nicht festgesetzt. Sobald die Ungewissheit durch eine rückwirkende Gesetzesänderung beseitigt ist, wird die ausgesetzte Zinsfestsetzung nachgeholt.
- für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018: Anfallende Nachzahlungs- und Erstattungszinsen sind endgültig festzusetzen. Dies erlaubt die so genannte Fortgeltungsanordnung des BVerfG für diese Zeiträume ausdrücklich.
Die wichtigsten Anweisungen
„Ganz Ähnliches gilt übrigens für den Fall, dass Zinsfestsetzungen geändert oder berichtigt werden müssen“, erklärt Steuerberater Dill. Wird eine unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Zinsfestsetzung geändert (§ 164 Abs. 2 AO) oder wird der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben (§ 164 Abs. 3 AO), ist die korrigierte Zinsfestsetzung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 im Umfang der betragsmäßig neu festzusetzenden Zinsen auszusetzen oder – bei bereits festgesetzten Zinsen (nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO) – nur vorläufig vorzunehmen. Für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 ist die Zinsfestsetzung dagegen für endgültig zu erklären.
Manche Einspruchsverfahren müssen vorerst ausgesetzt werden
„Im Fall eines zulässigen Einspruchs seitens des Steuerpflichtigen spielen die beiden bereits genannten Daten ebenfalls eine entscheidende Rolle“, führt der Limburger Steuerexperte weiter aus. Hinsichtlich der Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 darf das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurückweisen, also die Aussetzung der Vollziehung beenden. Soweit die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 nicht entsprechend der oben genannten Ausführungen bereits ausgesetzt bzw. vorläufig festgesetzt worden ist, muss das Einspruchsverfahren genauso wie die Vollziehung der Zinsfestsetzung ausgesetzt werden.
Gesetzliche Neuregelung bis zum 31. Juli 2022
„Andersherum können Steuerpflichtige übrigens nun auch nicht mehr von hohen Erstattungszinsen profitieren“, stellt Wolfgang Dill klar. Legen sie dennoch Einspruch gegen eine Aussetzung der Festsetzung von Erstattungszinsen ein, wird das Finanzamt diesen mit Verweis auf den BVerfG-Beschluss und die anstehende Neuregelung zurückweisen dürfen. Hierfür hat der Gesetzgeber vom Gericht noch bis zum 31. Juli 2022 Zeit bekommen.
Was können Sie tun?
Prüfen Sie bei einer Steuererstattung, ob Vertrauensschutz beim vorteilhaften Zinssatz besteht!
Laut BVerfG müssen die Finanzämter und Gemeinden bei vorläufigen Zinsfestsetzungen zu Steuererstattungen die Vertrauensschutzregelung (§ 176 AO) berücksichtigen. Bei einer Änderung der Steuerfestsetzung oder Zinsfestsetzung ist also so vorzugehen, als hätte die frühere, für den Steuerpflichtigen günstige Rechtsauffassung nach wie vor Gültigkeit. Ob Sie demnach bei einer Steuererstattung nach wie vor vom hohen Zinssatz profitieren können, prüfen wir gerne in einem persönlichen Beratungsgespräch: kontakt/at/steuerberater-dill.de
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