Umstrittene Reform der Grundsteuer
DILL-NEWSLETTER 12/2023: Umstrittene Reform der Grundsteuer
Finanzgericht hat Verfassungsbedenken
Die Reform der Grundsteuer kostet private Eigentümer nicht nur viele Nerven, sie ist und bleibt auch politisch wie juristisch höchst umstritten. Dies gilt insbesondere für das so genannte Bundesmodell. Nun hat das erste Finanzgericht die Zweifel an dessen Verfassungsmäßigkeit bestätigt – mit möglicherweise weitreichenden Folgen.
Gegen die Neubewertung von Grundstücken im Rahmen der Grundsteuer-Reform laufen bereits einige Gerichtsprozesse. „Im Fokus steht dabei das so genannte Bundesmodell“, erklärt Steuerberater Wolfgang Dill aus Limburg.
Musterklagen gegen die GrundsteuerbewertungDer Bund der Steuerzahler Deutschland (BdSt) sowie Haus & Grund Deutschland unterstützen mehrere Eigentümer, die sich gegen die Bewertung ihrer Grundstücke im Rahmen der Grundsteuerreform wehren und vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wollen. In Berlin und Rheinland-Pfalz wurden schon die ersten von beiden Verbänden begleiteten Klagen eingereicht. Jetzt liegen die Aktenzeichen vor: 3 K 3142/23 beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg bzw. 4 K 1205/23 beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz. Damit können nun Eigentümer, die gegen ihren Grundsteuerwertbescheid Einspruch eingelegt haben, das Ruhen des Verfahrens beantragen. |
In zwei Fällen unterstützen der Bund der Steuerzahler sowie die Eigentümerschutz-Gemeinschaft Haus & Grund die Kläger. Beide Verbände halten die neue Bewertung im Bundesmodell aus zahlreichen Gründen für verfassungswidrig. Sie verfolgen mit diesen Musterklagen das Ziel, das Bewertungsverfahren erneut vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Im Rahmen der Klagen wird das Rechtsgutachten von Professor Dr. Gregor Kirchhof, das beide Verbände in Auftrag gegeben hatten, zur Begründung eingebracht. Der Verfassungsrechtler war zu dem Ergebnis gekommen: Das Grundsteuergesetz des Bundes ist verfassungswidrig. „Vor allem die pauschal anzusetzenden Mieten bei der Bewertung der Grundstücke und die Bodenrichtwerte würden die Werte der Grundstücke deutlich beeinflussen“, fasst Steuerexperte Dill das maßgebliche Argument zusammen.
Derweil gibt es erste Entscheidungen zu dem umstrittenen Bundesmodell. „Während sächsische Richter das Bundesmodell nicht beanstandeten, hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von zwei Wertbescheiden für die neue Grundsteuer angemeldet“, berichtet Steuerberater Dill.
Worum genau ging es in den Beschlüssen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz?
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz befasste sich mit gleich zwei Streitfällen (Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 4. Senat, Beschlüsse vom 23. November 2023, Az. 4 V 1429/23 und Az. 4 V 1295/23). Im ersten Fall ging es um die Grundsteuerwertfeststellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 72 Quadratmetern. Das Haus wurde 1880 errichtet, war seit Jahrzehnten unrenoviert und ist noch mit einfach verglasten Fenstern versehen. Deshalb wurde der gesetzlich normierte Mietwert pro Quadratmeter als überhöht kritisiert. Der zuständige Gutachterausschuss ermittelte den Bodenrichtwert für das 351 Quadratmeter große Grundstück mit 125 Euro pro Quadratmeter, also insgesamt rund 44.000 Euro. Das Finanzamt wandte dennoch den gesetzlich normierten Mietwert an und stellte zum Stichtag 1. Januar 2022 einen mit ca. 91.600 Euro mehr als doppelt so hohen Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie fest.
Dem zweiten Streitfall lag eine Grundsteuerwertfeststellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 178 Quadratmetern zugrunde. Die Immobilie wurde 1977 bezugsfertig errichtet. Der Bodenrichtwert für das 1.053 Quadratmeter große Grundstück war durch den zuständigen Gutachterausschuss mit 300 Euro pro Quadratmeter ermittelt worden.
Aus Sicht der Antragsteller könne dieser Bodenwert jedoch nur mit einem Abschlag von 30 Prozent angewandt werden. Schließlich liege ihr Grundstück aufgrund einer Bebauung in zweiter Reihe. Zudem war die Grundstückserschließung nur durch einen Privatweg möglich und das Grundstück sei wegen einer besonderen Hanglage nur eingeschränkt nutzbar. Das Finanzamt folgte dieser Argumentation aber nicht und berücksichtigte den Bodenrichtwert ohne Abschlag. Gemäß der Bewertung des Gutachterausschusses stellte es zum Stichtag 1. Januar 2022 einen Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie in Höhe von 318.800 Euro fest.
Die Entscheidung des Finanzgerichts
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stellte sich das Finanzgericht Rheinland-Pfalz auf die Seite der jeweiligen Kläger. Die Finanzrichter setzten wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellung (im Bundesmodell) die Vollziehung der beiden umstrittenen Grundsteuerwertbescheide aus.
Zentrale Argumente des Gerichts dafür, dass in beiden Fällen ernstliche Zweifel sowohl an der Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln bestehen, waren vor allem die folgenden Aspekte:
- Die Richter haben Bedenken, ob die entscheidend in die Bewertung eingeflossenen Bodenrichtwerte rechtmäßig zustande gekommen seien. Es bestehen Zweifel bezüglich der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse, weil nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung Einflussnahmemöglichkeiten seitens der Finanzverwaltung nicht ausgeschlossen werden könnten.
- Zudem gibt es Bedenken an der Vollständigkeit der für die Ermittlung der Bodenrichtwerte notwendigen Datengrundlage. Schließlich könnten in den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse erhebliche Datenlücken bestehen. Daher seien erhebliche Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte zu befürchten.
- Weiterhin monierte das FG mit dem Argument einer verfassungskonformen Auslegung des Bewertungsrechts, dass Steuerpflichtige – im Einzelfall und unter bestimmten Bedingungen – die Möglichkeit haben müssten, einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachweisen zu können.
Realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung nach dem Bewertungsgesetz überhaupt möglich?
Das Finanzgericht nennt noch einige weitere Argumente für seine Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Bundesmodells. „So bestünden ernstliche Zweifel daran, dass die Regelungen des Bewertungsgesetzes überhaupt geeignet seien, eine realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung zu erreichen“, sagt Steuerberater Wolfgang Dill aus Limburg. Denn insbesondere aufgrund der großen Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen sowie einer nahezu vollständigen Vernachlässigung aller individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke könnte es zu Wertverzerrungen für den gesamten Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung kommen.
Signalwirkung für weitere Bundesländer
Diese Beschlüsse des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz könnten eine Signalwirkung für zumindest all die Bundesländer haben, in denen das Bundesmodell der Grundsteuer-Reform gilt. Das sind neben Rheinland-Pfalz noch Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Im Saarland und in Sachsen gilt ein Bundesmodell mit Abweichungen. Bezüglich des Modells in Sachsen hatte das Finanzgericht Sachsen (Urteil vom 24. Oktober 2023, Az. 2 K 574/23) übrigens keine Bedenken geäußert – trotz der u.a. hier ebenfalls vom Kläger geäußerten Zweifel an der Unabhängigkeit der Gutachterausschüsse. Die übrigen Bundesländer – Hessen, Bayern und Baden-Württemberg – haben eigene Grundsteuer-Modelle entwickelt.
Nun wird sich wohl bald auch der Bundesfinanzhof mit dem umstrittenen Bundesmodell auseinandersetzen. Jedenfalls hat das Land Rheinland-Pfalz gegen die Entscheidung des Finanzgerichts inzwischen Beschwerde eingelegt.
Was können Sie tun?
Prüfen Sie, ob ein Einspruch noch möglich ist und Sinn macht!
Sofern Fristen noch nicht abgelaufen sind bzw. Bescheide noch nicht zugegangen sind, sollten Immobilieneigentümer einen Einspruch gegen eine unrealistisch erscheinende Grundsteuerbewertung einlegen. Wir beraten Sie gerne hierzu: kontakt/at/steuerberater-dill.de
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