Verluste im Aktienhandel
DILL-NEWSLETTER 04/2022: Verrechnungsbeschränkung verfassungswidrig?
Umstrittene Steuerregelung zu Verlusten im Aktienhandel
Aktuell geht es an der Börse eher abwärts. Grundsätzlich dürfen Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung derselben verrechnet werden. Diese Praxis ist inzwischen allerdings durchaus umstritten. Ein neues Schreiben des Bundesfinanzministeriums bringt Bewegung in die Sache.
Zunächst zum Hintergrund: „Das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 hatte die Besteuerung von Kapitalanlagen, die dem steuerlichen Privatvermögen zuzurechnen sind, grundlegend neu gestaltet“, erklärt Steuerberater Wolfgang Dill aus Limburg. Durch die Zuordnung von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalanlagen (u.a. Aktien) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG) unterliegen die dabei realisierten Wertveränderungen (also Gewinne und Verluste) in vollem Umfang und unabhängig von einer Haltefrist der Besteuerung. Da der Fiskus die Einkünfte aus Kapitalvermögen grundsätzlich abgeltend mit einem speziellen Steuersatz von 25% besteuert, sieht das Gesetz vor, dass Verluste aus Kapitalvermögen nur mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden dürfen (§ 20 Abs. 6 Satz 2 EStG).
Bundesfinanzhof: Rechtfertigung für die Beschränkung ist nicht überzeugend
Eine zusätzliche Verlustverrechnungsbeschränkung gilt für Verluste aus der Veräußerung von Aktien (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG). „Diese lassen sich bislang nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ausgleichen. Stattdessen geht das nur mit Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen“, sagt Steuerexperte Dill. Gemäß Gesetzesbegründung sollen dadurch Risiken für den Staatshaushalt verhindert werden.
Nach Auffassung des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs bewirkt diese Verlustverrechnungsbeschränkung jedoch eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung. „Schließlich behandelt sie Steuerpflichtige ohne rechtfertigenden Grund unterschiedlich, je nachdem, ob sie Verluste aus der Veräußerung von Aktien oder aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben“, erläutert der Limburger Steuerexperte die Bedenken der Münchner Richter. Eine überzeugende Rechtfertigung für diese nicht folgerichtige Ausgestaltung der Verlustausgleichsregelung für Aktienveräußerungsverluste konnte der BFH nicht erkennen. Es bestehe weder eine besondere Gefahr der Entstehung erheblicher Steuermindereinnahmen noch lasse sich die Beschränkung vor dem Hintergrund der Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen erklären. Auch besondere außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele lägen nicht vor.
Bundesfinanzministerium schafft neue Vorläufigkeit
Die obersten deutschen Finanzrichter hatten die Frage seinerzeit aber nicht endgültig beantwortet, sondern dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt (BFH, Vorlagebeschluss vom 17. November 2020, Az. VIII R 11/18). Von hier steht nach wie vor eine Entscheidung aus. Dafür hat sich inzwischen aber das Bundesfinanzministerium geäußert. Hier scheint man vorbeugen zu wollen: Einem aktuellen Schreiben nach haben Bund und Länder beschlossen, alle Einkommensteuerfestsetzungen bzw. -bescheide ab dem Veranlagungszeitraum 2009 wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste nur noch vorläufig durchzuführen (BMF, Schreiben vom 31. Januar 2022, Gz. IV A 3 -S 0338/19/10006 :001).
Diesbezüglichen Einkommensteuerbescheiden soll ein so genannter Vorläufigkeitsvermerk beigefügt werden, weist das BMF an. Das bedeutet im Umkehrschluss: „Ein Einspruch gegen einen solchen Bescheid macht – sofern es ausschließlich um das angesprochene Thema geht – in der Regel wenig Sinn und darf vom Finanzamt als unzulässig verworfen werden“, sagt Steuerberater Wolfgang Dill – aber nicht ausnahmslos (siehe unten „Was können Sie tun?“).
Der neue Vorläufigkeitsvermerk wird jedenfalls sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen ab dem Veranlagungszeitraum 2009 beigefügt, zu denen ein Verlust aus Kapitalvermögen (im Sinn des § 20 Abs. 2 S.1 Nr.1 S.1 EStG) aus der Veräußerung von Aktien festgestellt wird, weil ein Ausgleich mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen nicht möglich ist.
Was können Sie tun?
Prüfen Sie in jedem Fall Ihr Rechtsschutzbedürfnis!
Trotz einer nur vorläufigen Steuerfestsetzung kann ein Steuerpflichtiger durchaus ein Rechtsschutzbedürfnis haben, das einen Einspruch rechtfertigt. Das kann zumindest dann der Fall sein, wenn er mit seinem Einspruch besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend machen oder Aussetzung der Vollziehung begehren möchte. Dazu sollten sich Betroffene in jedem Fall mit uns verständigen: kontakt/at/steuerberater-dill.de
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