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Der Zinssatz des Finanzamts ist verfassungswidrig: Was Steuerzahler nach der Zinsentscheidung nun beachten müssen

DILL-NEWSLETTER 8/2021: Der Zinssatz des Finanzamts ist verfassungswidrig

Was Steuerzahler nach der Zinsentscheidung nun beachten müssen

Der Zinssatz des Finanzamts ist verfassungswidrig: Was Steuerzahler nach der Zinsentscheidung nun beachten müssen6% Zinsen auf Steuernachforderungen und -erstattungen – ein äußerst lukratives Geschäft, zumindest für den Empfänger der Zahlung. Allerdings ist dieser Zinssatz verfassungswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht jetzt klargestellt hat. Doch welche Konsequenzen hat diese medial viel beachtete Entscheidung überhaupt?

„In Zeiten, in denen für Sparanlagen sogar Negativzinsen keine Ausnahme mehr sind, werden Steuernachforderungen und -erstattungen hierzulande mit 0,5 Prozent für den vollendeten Monat verzinst, jährlich also mit 6 Prozent“, wunderte sich Steuerberater Wolfgang Dill aus Limburg schon länger. Was man fairerweise dazu wissen muss: Dieser Zinssatz wurde im Jahr 1961 festgeschrieben. „Zu diesem Zeitpunkt war natürlich die heutige Null-Zins-Ausrichtung einer globalisierten und krisengeschüttelten Finanzwelt kaum vorhersehbar“, erläutert Dill.

Doch auch mit diesem Zinsrelikt aus vergangenen Zeiten ist künftig Schluss: Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerG) entschied, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen in § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO) verfassungswidrig ist (BVerfG, Beschluss vom 08. Juli 2021, Az. 1 BvR 2237/14, Az. 1 BvR 2422/17). Das gilt zumindest soweit der Zinsberechnung für Zeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird.

Für Zinszeiträume vor 2019 gilt noch die alte Rechtslage

Was genau heißt das nun für betroffene Steuerzahler? „Die Verfassungsrichter haben darüber hinaus klargestellt, dass das geltende Recht für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 weiterhin Anwendung finden darf“, erklärt Steuerexperte Dill. Andernfalls entstünden aus Sicht des BVerfG erhebliche haushaltswirtschaftliche Unsicherheiten. Und diese seien im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung nicht geboten. Nach diesem Zugeständnis ist nun jedoch der Gesetzgeber gefragt: „Er muss bis spätestens 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung treffen, die dann auch rückwirkend für alle Sachverhalte ab 2019 gilt“, sagt Wolfgang Dill.

An dieser Stelle nicht zu vergessen: Die Vollverzinsung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) als auch zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen. Daher wusste übrigens manch findiger unselbstständig tätiger Arbeitnehmer die bisherige Rechtslage und den hohen Zinssatz sehr wohl zu seinen Gunsten zu nutzen. Denn wer nicht gesetzlich zur Abgabe eine Steuererklärung verpflichtet ist, darf diese ja freiwillig innerhalb von vier Jahren einreichen. Diesen Zeitraum kosteten gewitzte Einkommenssteuerpflichtige durchaus aus – um am Ende dann auf ihre übliche Steuererstattung noch ein großzügiges Zinsbonbon dazugelegt zu bekommen. Das dürfte nach einer Neuregelung etwas weniger süß schmecken.

Nachzahlungszinsen nach Betriebsprüfungen oft eine große Belastung

Doch im Großen und Ganzen hält Steuerberater Dill die aktuelle Entscheidung für ein gutes Signal, gerade in Hinblick auf Unternehmen. „Umfassende Betriebsprüfungen dauern ihre Zeit – und nicht selten steht an ihrem Ende eine Steuernachforderung seitens des Finanzamts. Da sind die extrem hohen Nachzahlungszinsen eine erhebliche Belastung“, erklärt der Limburger Steuerberater. Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, dass der Zinslauf nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, beginnt, sondern erst nach einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hält es für äußerst wichtig, dass neben einer möglichst raschen Anpassung der Zinshöhe auf ein realitätsgerechtes Maß die Betriebsprüfungen beschleunigt werden. Denn erst das Zusammenwirken beider Maßnahmen – also niedriger Zinssatz und schnellerer endgültiger Steuerbescheid – bringe den Unternehmen die gerade in diesen herausfordernden Zeiten dringend benötigte Rechts- und Planungssicherheit, so der DIHK.

Konsequenzen für die Besteuerungspraxis

Was genau aber bedeutet nun die Entscheidung des BVerG für die Steuerpraxis und für noch offene Streitfälle? Schließlich halten die Richter die im Hinblick auf die Zinsen erfolgte Ungleichbehandlung gegenüber dem freien Kapitalmarkt noch bis Ende 2013 für verfassungsgemäß. Erst bei Verzinsungszeiträumen ab 2014 ist das nicht mehr der Fall. Und noch dazu hält es das BVerfG aus haushaltspolitischen Erwägungen trotz der Verfassungswidrigkeit für geboten, das bisherige Recht für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume anzuwenden. „Erst für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und später fallen, kommt eine Weitergeltung des bisherigen Rechts nicht mehr in Betracht“, stellt Steuerexperte Dill klar.

Demnach gilt es, drei Fallgruppen voneinander zu unterscheiden:

  • Verzinsungszeiträume im Jahr 2013 und früher: Sie sind von der Verfassungswidrigkeit nicht betroffen. Mit anderen Worten: Der Zinssatz von 0,5 % pro Monat ist hier nicht zu beanstanden. Steuerpflichtige, die hier Einspruch eingelegt haben, müssen mit einer Zurückweisung ihres Einspruchs rechnen und – im Falle einer Aussetzung der Vollziehung – den ausgesetzten Betrag nachzahlen.
  • Verzinsungszeiträume zwischen 2014 bis einschließlich 2018: Der Zinssatz war zwar bereits hier schon verfassungswidrig, dennoch bleibt das aktuell noch geltende Recht weiterhin anwendbar. Auch in diesen Fällen darf das Finanzamt also eingelegte Einsprüche abweisen, Betroffene müssen ausgesetzte Beträge dann zahlen. Sofern die Zinsfestsetzung vorläufig erfolgt ist, wird die Finanzverwaltung die Vorläufigkeit aufheben.
  • Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019: Hier ist nun erst einmal der Gesetzgeber gefragt. Er muss die gesetzliche Fiktion des bisherigen Zinssatzes an die reale Zinssituation bzw. das aktuelle Zinsniveau anzupassen. Dafür hat er vom BVerfG bis zum 31. Juli 2022 Zeit bekommen. Von einer verfassungskonformen gesetzlichen Neuregelung profitiert aber nur, wer gegen den Zinsbescheid Einspruch eingelegt hat oder dessen Zinsbescheid vorläufig ergangen ist. Formell und materiell bestandskräftige Zinsbescheide ohne Vorläufigkeitsvermerk können aufgrund der anstehenden gesetzlichen Neuregelung nicht mehr geändert werden.

Urteil wohl anwendbar auf alle Zinsarten des Finanzamts

Übrigens: Das BVerfG hat sich in dem entschiedenen Fall nur zur Vollverzinsung (§ 233a AO) geäußert. Außer Betracht ließ es in seiner Entscheidung Stundungszinsen (§ 234 AO), Hinterziehungszinsen (§ 235 AO), Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO) und Aussetzungszinsen (§ 237 AO). „Da laut der Abgabenordnung jedoch das Zinsniveau in allen Verzinsungsfällen einheitlich 0,5% pro Monat beträgt, dürfte man die Entscheidungsgrundsätze des BVerG auf alle Zinsarten anwenden“, vermutet Steuerberater Dill.

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Was können Sie tun?

Halten Sie einen Streit mit dem Finanzamt bis zur Neuregelung offen!

Es bleibt nun erst einmal abzuwarten, wie genau die Finanzverwaltung in Fällen des Verzinsungszeitraums ab 2019 und später reagieren wird. Eine gesetzliche Neuregelung braucht Zeit und kommt aller Voraussicht nach erst nach der Bundestagswahl. Daher weisen Zinsbescheide bis zur gesetzlichen Neuregelung weiterhin die bisherige – jetzt aber verfassungswidrige – Verzinsung aus. Besprechen Sie mit uns, wie Sie zu verfahren haben: kontakt/at/steuerberater-dill.de

Foto: Andrey Popov/AdobeStock